16.08.2019 – Standpunkte der BI-Straßenbahn betreffend Ausbaupläne des Grazer Straßenbahnnetzes

Die Ausbaupläne, die mit dem „Straßenbahn-Paket für Graz“ präsentiert wurden, lassen auf eine Verdoppelung des Streckennetzes und der Anzahl der Fahrzeuge schließen.

Die Erfahrungen mit der letzten Großinvestition betreffend Straßenbahn-Fuhrpark rufen daher die Betroffenen und zunehmend auch die noch nicht Betroffenen, die zukünftig an einer Straßenbahnlinie wohnen und leben werden, auf den Plan (Linien durch die Neutorgasse, Richtung Reininghaus, Gösting und vom Hauptbahnhof über Keplerstraße, Geidorfplatz bis zur Universität etc.).

Es ist auf jeden Fall sicherzustellen, dass sich eine unnötige Verschlechterung der Lebensqualität nicht wiederholt und diese unter Umständen sogar noch ausgeweitet und/oder verschlimmert wird.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen, kombiniert mit dem aktuellen Stand der Normen, sind im konkreten Fall kein geeignetes Instrumentarium, einen derartigen Beschaffungsvorgang zu begleiten.

Während bei der (internationalen) Eisenbahn das vorbeirollende Wagenmaterial vorgegeben ist und man keinen Einfluss auf seine Zusammensetzung hat, hat man diesen bei der Straßenbahn sehr wohl. Es rollt ständig, in einem geschlossenen Kreislauf und in kurzen Perioden, dasselbe Material vorbei und man kann stark störende Garnituren eliminieren oder, was natürlich besser ist, erst gar nicht kaufen.

Mangels passendem Regelwerk im Eisenbahngesetz empfiehlt die BI deshalb ein vergleichendes, experimentelles Prüfverfahren zu definieren, das alle Bewerber durchlaufen müssen.

Aufgrund der Erfahrungen in den letzten Jahren mit der sogenannten „kapriziösen“ VB (Zit. Prof. Flesch 2019), ergeben sich folgende Forderungen:

Ausschreibung in Form eines mehrstufigen Verhandlungs-, Auswahl- und Zuschlagsverfahrens

  • Redepflicht des Anbieters, ob das Fahrzeug generell für Graz geeignet ist.
  • Testfahrten der Straßenbahnen, die in die engere Auswahl kommen (wurde von der Politik und Holding zugesagt). Diese müssen unter realen Grazer Bedingungen stattfinden.
  • Bei den Testfahrten ist eine genaue Messplanung vorzusehen, damit alle Situationen analysiert werden können.
  • Es sind ganzjährige Bedingungen im Vorfeld zu analysieren.
  • Vergleichende Messungen von Erschütterung und Lärm bei Variationen von Parametern wie:
    – Beladung
    – Geschwindigkeit
    – Zustand der Räder (neue Räder, Räder mit Abnutzungserscheinungen, Flachstellen)
    – Umweltbedingungen (Lufttemperatur, Bodentemperatur, Feuchtigkeit etc.)
    – Diverse Verschmutzungsgrade des Schienenwegs
    – Weichen, Schienenstöße
  • Weiters ist besonders das Brems- und Beschleunigungsverhalten zu beurteilen. Es ist besonders für den Insassenschutz wichtig. Besonders ältere Fahrgäste sind wegen ruckelndem Brems- und Beschleunigungsverhalten sturzgefährdet.
  • Um kundenfreundlicher zu sein braucht es ausreichend Haltegriffe und -stangen.
  • Klare Definition von Garantiewerten (Lärm, Erschütterung etc.), Haftung, Gewährleistung, Pönale, ev. Rückabwicklung, Servicetätigkeiten im Auftragsvertrag sowohl für den Auftragnehmer als auch für das ausschreibende Technische Büro.
  • Die Messungen sind von einem international anerkannten neutralen Ingenieurbüro, nach letztem Stand der Technik, durchzuführen. Die gewonnen Ergebnisse sind zu veröffentlichen und die Rohdaten allen Interessierten im Verkehrsauschuss, den interessierten Betroffenen sowie zu Forschungszwecken auch an interessierte Institute der TU zur Verfügung zu stellen.
  • Zur Entscheidungsfindung soll der Dialog mit den Experten der BI gesucht werden.
  • Die Möglichkeiten der Einbindung in EU-weite Forschungsprogramme wäre ins Auge zu fassen.

Definition des Messprogamms

  • Der Luftschall ist in 1,2m Höhe und in 7,5m Entfernung von der Gleismitte zu messen. Die Erschütterungen sind direkt am Gleis und in einer gewissen Entfernung an der Straßenoberfläche zu messen, z.B. 5 m vom Gleis entfernt.
  • Dies mit verschiedenen Fahrgeschwindigkeiten, z.B. 20, 40 und 60km/h. Die Geschwindigkeiten sind mit einem Lasersystem zu erfassen und zu protokollieren.
  • Der Luftschall ist von 20Hz bis 20kHz zu messen.
  • Der Körperschall von 10Hz bis 5 kHz.
  • Darzustellen sind die Messwerte als Frequenzspektrum – als Schmalband- und Terzspektrum, sowie als Zeitsignal für Luft- und Körperschall.
  • Der Körperschall ist als Schwingschnelle, d.h. Schwinggeschwindigkeit, darzustellen, über den vorhin festgelegten Frequenzbereich, gemeinsam mit dem Zeitsignal.
  • Den Anbietern ist vorzuschreiben, dass ihre Straßenbahnen in Bezug auf Luft- und Körperschallanregung unter den Werten der CR liegen müssen!

Diese Punkte bzw. Forderungen wurden am 3. Juli 2019 vor dem Verkehrsausschuss des Grazer Gemeinderats präsentiert.